Prioritäten kirchlicher Arbeit

 Thesen von Hans-Martin Weiss und Werner Thiede

1. Erste Priorität in der kirchlichen Arbeit hat zu jeder Zeit das Achten auf das Herr-Sein Jesu Christi, also die Bereitschaft, inmitten der Welt als herausgerufene, eschatologische Gemeinschaft zu existieren, die den Namen einer Kirche Jesu Christi verdient.
Eine andere erstrangige Priorität zu behaupten, kann nur einen Irrweg bedeuten.

2. Die zweite Priorität kann demgemäß nur darin bestehen, den Inhalt des Evangeliums, nämlich den für uns Gekreuzigten und Auferstandenen in zuverlässiger Überlieferung der heutigen Generation innerhalb und außerhalb der Kirche in Verkündigung und Unterricht zu vermitteln, wie das bereist apostolisches Anliegen in der ersten Generation war.
Wer demgegenüber eine mögliche Pluralität von Inhalten des Evangeliums vertritt, verdirbt die in CA 7 geforderte Reinheit des Evangeliums.

3. Dritte Priorität hat entsprechend die schriftgemäße Sakramentsverwaltung, durch die Christus seiner Kirche leiblich nahekommt und die in CA 7 zu den maßgeblichen Kennzeichen von Kirche-Sein gehört.
Dieses zentrale Anliegen verfehlt, wer die Sakramentsverwaltung nicht schriftgemäß handhabt bzw. mit Deutungen experimentiert, die dem genannten Sinngehalt des Evangeliums widerstreiten.

4. Priorität hat in der Folge eine Förderung jener gemeindlichen Existenzform, die das Weitergeben der von Gott empfangenen Liebe – zu allererst unter den Glaubensgenossen – in der Konkretion fördert, also die dem Leib-Gedanken am nächsten kommende parochiale Form mit zentralen Gottesdienstveranstaltungen.
Daneben anderen „zeitgemäßen“ Formen kirchlicher Existenz ebenfalls Priorität einzuräumen – z.B. der monastischen Existenz im Mittelalter oder nichtparochialen Sonderbildungen in der Gegenwart –, bedarf sorgfältiger Überlegung und Prüfung.

5. Priorität hat von daher eine Gestaltung des Aufgabenfeldes für das „Pastoren“-Amt, die das Hirte-Sein „vor Ort“ mit seinen Schwerpunkten in Verkündigung, Seelsorge und Gemeindeleitung angemessen zum Tragen kommen lässt und es von Belastungen befreit, die dem entgegenstehen.
Den Pfarrer als kybernetisch ausgebildeten Generalisten (inclusive Verwaltungskompetenzen) betrachten zu wollen, geht von ungeistlichen Prioritätensetzungen aus.

6. Priorität hat des Weiteren die Ökumene zwischen den christlichen Kirchen, insofern sie der Realität des Herr-Seins Jesu Christi über alle Getauften zu entsprechen sucht.
Demgegenüber kommt der Betonung des eigenen konfessionellen Charakters keine Priorität zu, sondern dienende Funktion im Wetteifer um das rechte Erkennen und Verstehen des einen Herrn.

7. Vorrangig ist im Übrigen ebenso wie angesichts des religiösen Pluralismus in der Spätantike auch im heutigen religiösen Pluralismus eine klare kirchliche Wiedererkennbarkeit und Identität.
Abwegig ist hingegen ein Streben nach einer „Ökumene der Religionen“, weil damit eine spirituelle Einheit unter einem Prinzip jenseits des Herr-Seins Jesu Christi postuliert wird.

 

 


 

 

1„Wir sind getrennte Kirchen“: Dieses nüchterne Fazit zog Margot Käßmann in ihrer Predigt auf dem Wittenberger Vorbereitungstreffen zur Dritten Ökumenischen Versammlung (idea 8/2007, 14).
2Dazu z.B. J. Johannesdotter: Bischöfe zu Fragen der Zeit. Im Sakrament der Taufe besteht die Einheit der Kirchen schon jetzt, in: velkd-Informationen Nr. 112, 2004, S. 1f.
3Wahrheit ist geschichtlich und „im Werden“, weshalb alle Konsenstheorien (auch die Ökumeneformel eines „differenzierten Konsens“) stets unzulänglich bleiben; da für Christen aber Christus die Wahrheit schlechthin ist, besteht in der Taufe auf ihn ein „Prae“, das ökumenische Wahrheitssuche auf ein spirituelles Fundament stellt und ebenso verheißungsvoll wie verpflichtend ist. Vgl. M. Petzoldt (Hg.): Wider die Müdigkeit im ökumenischen Gespräch, Leipzig 2007.
4Epd-Bayern vom 25. 1. 2007, 10.
5Dass das Buch von S. Keshavjee „Unterwegs zu einer Sinfonie der Kirchen“ (2001) von einem Inder (geschult in monistischem Denken) stammt, ist bezeichnend.
6Vgl. aber auch K. Lehmann/E. Schlink (Hg.): Evangelium – Sakramente – Amt und die Einheit der Kirche. Die ökumenische Tragweite der Confessio Augustana, Göttingen 1982.
7R. Bernhardt spricht von „konverser Identität“.
8Vgl. H. Schüttes Buch zur Ökumenischen Ethik (1999), aber auch E. Schlinks ermutigende „Ökumeniche Dogmatik“ (1983).

Autor:   Hans-Martin Weiss und Werner Thiede
Ort:   Regensburg
Datum:   25.05.2007